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Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. (Eph 4,26)

Liebe Leserinnen und Leser,

in den letzten Wochen und Monaten merke ich, dass die Menschen um mich herum gereizter werden, frustriert und ungeduldig. Außerdem ist es draußen auch noch grau und dunkel, oft reißt der Himmel den ganzen Tag nicht auf.

Das Weihnachtsfest mit seinem hellen Lichterglanz scheint lange vergangen und der Frühling noch in weiter Ferne. Bald beginnt unser drittes Jahr unter den Bedingungen, die sich durch die Corona-Pandemie ergeben. Die Inzidenzen steigen und die lang ersehnte Nachricht auf ein Ende der Pandemie kommt nicht. Niemand weiß, wie lange es noch dauern wird.

Die letzten zwei Jahre waren kräftezehrend. Es ist anstrengend, Projekte zu planen und dann doch absagen zu müssen oder zum wiederholten Male umzuplanen. Es ist anstrengend, die eigenen Kinder immer wieder auf bessere Zeiten zu vertrösten, in denen dann endlich wieder alles möglich sein wird. Es ist anstrengend, weiter und immer weiter zu machen, ohne zu wissen, wann es endlich besser wird. War zu Beginn der Pandemie die Hoffnung auf ein baldiges Ende und die gegenseitige Hilfsbereitschaft noch groß, so merke ich jetzt, wie beides zu bröckeln beginnt.

Der Graben zwischen Geimpften und Ungeimpften wächst und der gesellschaftliche Diskurs kommt zum Erliegen. Die Schuldfrage rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt, ohne dass sie uns wirklich weiterbringt.

Der Monatsspruch für Februar steht im Epheserbrief. Der Verfasser schreibt im vierten Kapitel: „Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen“. Er erinnert die Gemeinde in Ephesus daran, dass alle Menschen Gott als Vater haben, als Vater, „der da ist über allen und durch alle und in allen“. Im Vertrauen darauf sollen sie als ein Leib in Gottes Geist leben, als Gemeinschaft, die füreinander verantwortlich ist. Und zur Richtschnur ihres Verhaltens macht er die Liebe.

Wie das konkret aussehen könnte, beschreibt er wenige Verse später: „Redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Segen bringe denen, die es hören.“

Sich gegenseitig zum Segen werden, Mut machen, andere aufrichten, ihnen helfen, durchzuhalten und die Hoffnung nicht zu verlieren, das ist unsere Aufgabe als christliche Gemeinde. Die immer wieder bewusst wahrgenommene Gotteskindschaft aller Menschen verändert dabei den Blickwinkel: Ich sehe mein Gegenüber als von Gott geschaffenes Geschöpf, als meine:n Nächste:n. Gottes Gnade und Liebe gilt ihm wie mir, warum sollte ich sie ihm verweigern?

Der erste Teil des Monatsspruches empfiehlt uns: „Zürnt ihr, so sündigt nicht.“

Diesen Vers hat der Verfasser aus Psalm 4 übernommen. Er warnt nicht davor, wütend zu sein oder sich aufzuregen, aber davor, sich aus diesem Gefühl heraus zu versündigen, laut zu werden, Dinge zu sagen, die man nachher lieber ungesagt gelassen hätte, die Wut an den Falschen auszulassen oder aus eigener Hilflosigkeit die Kontrolle zu verlieren. Es ist eine alte Regel, die besagt, dass man Streit beilegen soll, bevor man zu Bett geht, dass man die Sonne nicht über seinem Zorn untergehen lassen soll. Sie hilft uns, nicht in unserer Wut zu verharren, das Gespräch zu suchen, die Versöhnung zu ermöglichen.

Ich wünsche uns, dass der Frühling nicht nur steigende Temperaturen und sinkende Inzidenzzahlen mit sich bringt, sondern auch ein neues gesellschaftliches Miteinander. Wir müssen einander nicht immer Recht geben und auch nicht derselben Meinung sein. Aber wir können einander Respekt entgegenbringen und in unserem Gegenüber den von Gott geliebten Menschen wahrnehmen.

Egal ob im Großen oder im Kleinen: „Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.“ Versöhnt euch mit denen, die euch am Herzen liegen. Entschuldigt euch, wenn ihr merkt, dass ihr Unrecht hattet. Gebt großzügig Fehler zu. Verzeiht einander. Erkennt an, wie schwer die letzten Jahre waren, seht nicht darüber hinweg, wie groß die Belastungen immer noch sind. Vertraut darauf, dass Gottes Gnade, Freiheit und Liebe so viel größer sind als alles, was wir uns vorstellen können, und dass wir jetzt schon daraus schöpfen dürfen.

Ihre Pfarrerin Astrid Maria Horn