Aus dem Leben...
Kernthemen der Reformation - die vier soli
- Montag, 1. Mai 2017
In den Ausgaben 2017 des Gemeindebriefs setzten wir uns mit den Kernthemen der Reformation auseinander.
Teil 1: Sola scriptura (allein die Schrift)
Teil 2: Sola gratia (allein aus Gnade)
Teil 3: Sola fide (allein aus Glauben)
Teil 4: Solus Christus (allein Christus)
Teil 1: Sola scriptura (allein die Schrift): die Urkunde des Glaubens erschließen
„Sola scriptura – allein die Schrift“, also die Bibel, soll Grundlage des Glaubens und Maßstab für alles Nachdenken über Gott sein. Dieses Prinzip der reformatorischen Theologie stellte eine Konzentration auf die Bibel dar, demgegenüber alle kirchliche Tradition und Auslegung zurückstehen sollte. Nicht ein kirchliches Lehramt vermittelt die Botschaft von Gottes Heil, sondern allein die Bibel selbst ist Zeugnis der Frohen Botschaft. Gleichzeitig bedeutete in der Reformation diese Konzentration auf die Bibel auch die Bemühung darum, die Bibel allen Menschen zugänglich zu machen. Sie sollten selbst als mündige Christen die frohe Botschaft kennen und lesen können. Und hier geht es natürlich um die deutsche Übersetzung des Alten und des Neuen Testaments durch Martin Luther. Schon vor Martin Luther gab es deutsche Übersetzungen des hebräischen und griechischen Urtextes der biblischen Schriften. Aber seine Übersetzung, die 1534 erstmals vollständig für das Alte und das Neue Testament vorlag, hat mit ihrer Sprachkraft und Poesie den Glauben in der evangelischen Kirche und die deutsche Sprache überhaupt entscheidend geprägt. Die Luther-Bibel ist ein kostbares theologisches und kulturelles Erbe.
In seinem „Sendbrief zum Dolmetschen“ beschreibt Martin Luther seine Bemühung um eine deutsche Bibel-Übersetzung: „Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und den selbigen aufs Maul sehen und danach dolmetschen; da verstehen sie es denn …“
So verbindet sich mit dem Prinzip „Sola scriptura – allein die Schrift“ ein zentrales Anliegen reformatorischer Theologie: nämlich, dass die Menschen selber in der Heiligen Schrift nachlesen, nachdenken und verstehen können, dass sie fragen dürfen nach Gottes Wort – und es auch hinterfragen dürfen. „Sola scriptura – allein die Schrift“ beschreibt einen Kern reformatorischer Theologie: Es geht um gebildeten, eigenverantwortlichen Glauben.
Und das ist ein Erbe der Reformation bis heute: Immer wieder neu nach Gottes Wort fragen und es hören, sei es in den Geschichten der Erzeltern oder in den Evangelien von Jesus Christus. Immer wieder den Menschen „aufs Maul sehen“ und ihnen das Wort Gottes so auslegen, dass sie es verstehen können.
Dazu gibt es zum Reformations-Jubiläum 2017 eine neu revidierte Lutherbibel, denn die letzte Revision von 1984 ist schon wieder eine Weile her. Es sei jedoch nicht Ziel der Arbeit, die Lutherbibel modernem Deutsch anzunähern, stellt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fest. Vielmehr soll eine Vielzahl neuer Ergebnisse auf den Gebieten der Textkritik und der Exegese berücksichtigt werden. Der Rat der EKD sieht aber Veränderungen des Luthertextes dort vor, wo sie inhaltlich zwingend geboten sind. Jede Veränderung des den Gemeinden vertrauten Klangs der Lutherbibel soll dabei möglichst vermieden werden. Vielmehr ist die leitende Frage: Ist der Text einem interessierten Leser verständlich? Dazu will die aktuelle Revision der Lutherbibel einen Beitrag leisten. Gleichzeitig sollen besonders bekannte Texte möglichst schonend überarbeitet werden. Der vertraute Klang soll erhalten bleiben.
Anders ist das bei der Vielzahl der Kinderbibeln, die mit kurzen, einfühlsamen und altersgerechten Texten und vor allem natürlich Bildern schon Kindern die Frohe Botschaft nahe bringen wollen. Die „Basisbibel“ wiederum bietet neben einer zeitgemäßen Übersetzung kurze Einleitungen zu den Texten und auf jeder Seite crossmedial den Hinweis auf Hintergrundinformationen, die im Internet verfügbar sind. Es gibt die Bibel als Podcast oder im SMS-Format, die „Bibel in gerechter Sprache und im heutigen Deutsch. In welcher Ausgabe auch immer bewahrt sie Glaubens- und Lebenserfahrungen von Menschen vergangener Generationen und lädt uns heute dazu ein, eine Sprache für unsere Hoffnungen und Ängste, Nöte und Glücksmomente zu finden.
Pfrn. Mechthild Böhm Evangelisches Dekanat Mainz www.gott-neu-entdecken.de
Teil 2: Sola gratia (allein aus Gnade): sich von Gott beschenken lassen
Im Mittelpunkt von Luthers reformatorischer Theologie steht die Lehre von der Rechtfertigung, mit ihr „steht und fällt die Kirche“. Ihr Sinn und ihre Bedeutung erschließen sich, wenn die Vergebung als ein Beziehungsgeschehen begriffen wird. Sünde bezeichnet den Bruch der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, Rechtfertigung dessen Wiederherstellung.
Zu Luthers Zeiten spitzte sich diese Problematik auf die Frage zu, wie der Mensch im Jüngsten Gericht angesichts seiner Unzulänglichkeiten vor Gott zu bestehen vermag. Als Missbrauch sahen die Reformatoren den damaligen Ablasshandel an, als ob man sich selbst oder die Verstorbenen durch Geldspenden von einer gefürchteten Gottesstrafe freikaufen könnte.
Doch Luthers Glaubensansatz geht – unter Bezugnahme auf den Apostel Paulus – noch einen Schritt weiter: Das, was den Menschen von Gott trennt, kann ebenso wenig durch anständiges, frommes Handeln wieder gut gemacht werden. Vielmehr geht das Heilsgeschehen ganz und gar von Gott aus. Aus eigenen Stücken heraus kann sich der Mensch keine Gerechtigkeit erwerben. Vielmehr eignet ihm Gott, so die reformatorische Erkenntnis, seine uns ‚fremde‘ Gerechtigkeit zu.
Wenn ohnehin alles von Gott ausgeht, ist es dann nicht gleichgültig, wie wir unser Leben ethisch ausrichten, uns anderen gegenüber verhalten? Luther setzt hier durchaus andere Akzente als seine katholischen Zeitgenossen. Denn er lehnt die Vorstellung ab, dass der Mensch durch die erworbene Gnade Gottes dazu befähigt werde, an seinem eigenen Heil aktiv mitzuwirken. Demgegenüber greift der Reformator das biblische Bild vom Baum und seinen Früchten auf: „Gute Werke machen nimmermehr einen guten frommen Mann, sondern ein guter Mann macht gute, fromme Werke … Die Früchte tragen nicht den Baum, sondern umgekehrt.“ Luther geht davon aus, dass das Ergriffenwerden durch Gott automatisch gute Taten hervorbringt. Andersherum bedeutet dies:„Wenn die Werke nicht folgen, ist es sicher, dass der Glaube Christi nicht in unserem Herzen wohnt, sondern nur ein toter Glaube ist.“ Unsere (Un-)Taten sind demzufolge Zeichen unseres Glaubens bzw. Unglaubens. Aber sie bilden nicht die Voraussetzung und den Ausgangspunkt für Gottes Zuwendung.
Die juristischen Begrifflichkeiten und Erklärungsmuster, mit denen Luther das Heilsgeschehen erläutert, sind heutzutage nur schwer vermittelbar. Ein Zugang findet sich über die Frage nach der Würde und dem Wert des menschlichen Lebens. Sie wird dort aufgeworfen, wo Lebensmöglichkeiten eingeschränkt sind: kurzfristig oder dauerhaft, selbst verschuldet oder durch äußere Umstände verursacht. Gott aber bemisst den Wert der Person nicht an Erfolgen oder Fähigkeiten.
Die bedingungslose Annahme durch Gott will im Raum der Kirche in Wort und Tat erfahrbar werden: sei es in Verkündigung und Gebet, in der seelsorglichen Begegnung oder im diakonischen Handeln.
In den Predigten der vergangenen Jahrzehnte wurde nicht selten vor den Gefahren der Leistungs- und Egogesellschaft gewarnt. Sie setze den Menschen einem Perfektionsdruck aus. Schwerwiegender scheint mir gegenwärtig die Herausforderung zu sein, das Leben als ‚Projekt‘ eigenverantwortlich zu gestalten, d. h. aus einer Vielzahl möglicher Optionen auszuwählen. Damit ist unweigerlich die Sorge verbunden, falsche Lebensentscheidungen zu treffen. Angesichts dessen mag uns die Gewissheit entlasten und ermutigen: In der Beziehung zu Gott hat unser Leben bereits eine feste, unveräußerliche Grundlage.
Pfr. Dr. Christian Mulia, Lehrbeauftragter am Seminar für Praktische Theologie, Mainz – www.gott-neu-entdecken.de
Teil 3: Sola fide (allein aus Glauben): sich Gott und seinem Nächsten zuwenden
Der Glaube (sola fide) und die Gnade (sola gratia) bezeichnen zwei Seiten oder Richtungen des Heilsgeschehens: Zueignung und Aneignung. Ohne Gegenleistung, also gratis, eignet Gott uns Menschen seine Gnade zu. Diese eignen wir uns wiederum im Glauben an. Luther spricht von einem zupackenden Glauben (fides apprehensa), der das ihm von Gott entgegengehaltene Gnadenangebot ergreift und festhält.
Im Zusammenhang seiner Überlegungen zum (un-)freien Willen hebt der Reformator heraus, dass sich der Mensch nicht aus eigenen Stücken für den Glauben an Christus entscheiden kann. Der Glaube ist nicht menschlich machbar oder verfügbar. Vielmehr wird er dadurch geweckt, dass Gottes Zuspruch den Menschen trifft, ihn im Herzen bewegt. Dementsprechend ist auch die Kirche keine Heilsanstalt, die über den Glauben als einen Besitz verfügt, sondern Kirche ereignet sich als ein Geschöpf des Wortes (creatura verbi): In ihr kann Gottes frei machendes Wort der Vergebung mit allen Sinnen erfahrbar werden.
Für Luthers Glaubensverständnis sind vier Gesichtspunkte entscheidend:
Erstens begreift er das mit der Taufe beginnende Glaubensleben als einen Wachstumsprozess: "Daß also dieses Leben nicht ist eine Frömmigkeit, sondern ein Frommwerden, […] nicht eine Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind's noch nicht, wir werden's aber […]. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg."
Zweitens ist Luther davon überzeugt, dass es sich hierbei nicht um eine geradlinige geistlich-moralische Entwicklung handelt. Vielmehr erlebt der Mensch immer wieder, dass er sich verfehlt. Er verhält sich dann so, wie er es eigentlich gar nicht will. Er erlebt Anfechtung wie Zweifel und bedarf darum stets von Neuem des Zuspruchs. Der Glaubende bleibt Sünder und Gerechter zugleich (simul iustus et peccator).
Drittens sind Glaube und Liebe unlöslich miteinander verbunden und aufeinander bezogen: "Ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und in seinem Nächsten: in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe." Der Reformator widerspricht jedoch der mittelalterlichen Auffassung, dass der Glaube ergänzungsbedürftig sei, d. h. erst durch die Liebe Gestalt annehme.
Viertens geht das Heilsgeschehen, die Wiederherstellung der gestörten Beziehung, nicht nur von Gott selbst aus. Sondern der Glaube führt auch auf ihn zurück. Denn erst in seiner Hinwendung zu den Menschen wird das Wesen Gottes sichtbar: "Gott die Ehre geben, heißt ihm glauben, heißt ihn ansehen als wahrhaftig, weise, gerecht, barmherzig und allmächtig."
Wegweisend für den Protestantismus ist Luthers Ausrichtung des Glaubens auf den Einzelnen. Im "Kleinen Katechismus" hebt er das ‚für mich' heraus: "Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen […], dass Jesus Christus […] sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat."
Angesichts der heutigen Leitbilder von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung wirken Luthers Ausführungen zum ‚allein aus Glauben' jedoch anstößig. Sind wir tatsächlich unfähig, uns aus eigenen Kräften heraus Gott zuzuwenden, Gutes zu tun und uns moralisch weiterzuentwickeln? Und wie ist es zu verstehen, dass unser Leben mit dem Leben Jesu Christi unlösbar verwoben ist?
Luther und die anderen Reformatoren haben den Blick dafür geöffnet, dass sich der Mensch nur auf der Grundlage seiner Beziehung zu Gott verwirklichen und zu sich selbst kommen kann. Auf dieser Glaubensbasis ist er auch tatsächlich dazu imstande. Luther gibt zu bedenken, dass der Glaube uns selbst und unsere Welt neu sehen lässt. Die Wirklichkeit wird nicht länger nach menschlichen Maßstäben beurteilt, sondern so, wie Gott sie betrachtet. Am Kreuz Jesu Christi ist ansichtig geworden, wie er unsere Vorstellungen von Schwäche und Stärke, Macht und Ohnmacht auf den Kopf gestellt hat.
Pfr. Dr. Christian Mulia, Lehrbeauftragter am Seminar für Praktische Theologie, Mainz – www.gott-neu-entdecken.de
Teil 4: Solus Christus (allein Christus): zwischen Gott und den Meschen vermitteln
Gott hat die Welt in Jesus Christus erlöst. Er wird sie in Jesus Christus vollenden. Diese Zuspitzung refor-matorischer Theologie war in den kirchlichen Auseinandersetzungen zu Luthers Zeit durchaus polemisch zu verstehen. "Solus Christus" - allein Jesus Christus, das war eben auch ein Protest gegen die Lehre und die Praxis der damaligen Kirche. Allein Jesus Christus schenkt Erlösung und Heil, allein Jesus Christus lässt auf die Vollendung der Menschen und der Welt hoffen - und eben nicht der kostspielige Kauf von Ablass-Briefen, das Gebet zu Heiligen oder "gute" Taten. Denn wer durch Ablass, Fürbitte oder vermeintlich gerechtes Tun das Verhältnis zu Gott bereinigen will, der nimmt ja gerade nicht das Heil in Jesus Christus an, der vertraut nicht seiner Gnade. Dagegen stellt Luther das "Solus Christus - allein Jesus Christus". Luthers drängendste Frage war sehr persönlich - und gleichzeitig die Frage vieler Gläubigen seiner Zeit: "Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?"
Im Glauben an Jesus Christus, im Vertrauen auf ihn allein findet diese Frage eine Antwort. Durch Jesus Christus allein wird das Verhältnis zwischen Gott und dem einzelnen Menschen gut, geheilt, gerecht. Wer ihm vertraut, erfährt Gottes Gnade und ist frei von allen anderen Bindungen und Forderungen.
Die Antwort der Reformation auf Luthers Frage war durchaus keine einfache Antwort. Aber eine Ant-wort mit befreiender und verändernder Kraft.
Menschen heute fragen anders als Luther zu seiner Zeit - und sie fra-gen doch in dieselbe Richtung. Die drängendste Frage heute scheint, wie Menschen "heil" bleiben können an Leib und Seele inmitten aller eigenen und fremden Ansprüche an ein gutes Leben und inmitten einer immer unübersichtlicher werdenden Welt. Die drängendste Frage heute ist vielleicht eher, überhaupt ein Verhältnis zu Gott und zu Jesus Christus zu bekommen. Kann "Solus Christus - allein Jesus Christus" auch heute eine Antwort sein? Gott hat die Welt in Jesus Christus erlöst. Er wird sie in Jesus Christus vollenden. Das gilt es heute neu zu sagen. Diese Zusage macht uns zu mündigen und souveränen Christen.
Das Vertrauen in Jesus Christus ist der Inhalt unseres christlichen Glaubens. Um glaubwürdig zu sein, muss die evangelische Kirche dieses Zeugnis heute im ökumenischen wie auch im interreligiösen Dialog neu entfalten.
Anders als zur Zeit der Reformation soll das Prinzip "Solus Christus - allein Jesus Christus" nicht als Abgrenzung verstanden werden, sondern als eine gemeinsame ökumenische Besinnung auf die Wurzeln unseres Glaubens.
Der Kirchenpräsident der EKHN, Volker Jung, wünscht sich deshalb auch, dass das bevorstehende Re-formationsjubiläum 2017 nicht als "Fest der Lutherverehrung oder als selbstverliebtes Fest protestantischer Kirchwerdung" gefeiert werde, sondern als "Fest der Christus-Begegnung und der Christus-Gemeinschaft".
Eine der zentralen reformatorischen Einsichten ist es, dass der Glaube von Gott geschenkt wird. Im interreligiösen Dialog muss dies heute auch bedeuten, dass die Entscheidung darüber, welche Wahrheit in Glau-bensfragen gelte, bei Gott liegt, nicht bei einer bestimmten Konfession. Mit diesem christlichen Verständnis von Toleranz ist die evangelische Kirche aufgefordert, die Gesellschaft mitzugestalten. Christliche Toleranz kann nie nur Ertragen oder Erdulden anderer Ansichten sein. Sie kann zur Anerkennung des Gegenübers füh-ren, ohne dass alles gleichgültig und erlaubt scheint. "Solus Christus" heißt in diesem Zusammenhang auch: dem eigenen Glauben und der Kraft in Jesus Christus vertrauen, und das auch aussprechen. Sagen, wofür man steht, sagen, was einem wichtig ist. Und zugleich den Glauben anderer achten.
"Solus Christus" - nur in Jesus Christus werden Menschen heil und frei. Nur durch Leben und Tod und Auferstehung von Jesus Christus erfahren sie Gottes Zuspruch und Trost wie auch Gottes Anspruch und Orientierung in ihrem Leben. Das glauben und hoffen evangelische Christen - auch im 21. Jahrhundert.
Mechthild Böhm – www.gott-neu-entdecken.de